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Mexico City – Geldnot, unfreiwillige Diät und Carmen
Ein etwas längerer Aufenthalt in Mexico-Stadt – das hat sich in der Rückschau gelohnt, war aber eigentlich unfreiwillig, keineswegs geplant und streckenweise unangenehm. Fast wurden meine Augen feucht, als ich schon bald den letzten Traveller Check einlöste. War es das Ende der Reise? Ich saß im Hotel Avenida mitten in der Stadt und wartete auf Geldüberweisung aus Deutschland. Mehrere Telegramme gingen an meine Eltern, kein Telegramm kam zurück. Auch telefonisch klappte es nicht. Jeden Tag lief ich zur Post. Nichts. Jeden Tag zur Banco del Atlantico, wo das Geld ankommen sollte. Nichts. Dann zur Deutschen Botschaft . Finanzielle Hilfe von ihrer Seite – erst einmal null – da könnte ja jeder klamme Deutsche kommen. Nichts ohne Sicherheit. Es war Weihnachtszeit, Urlaubszeit mit unfreundlichem Notdienst. - Ich musste auf „Diät“ gehen und weiter warten. Das Hotel kostete 40 Pesos täglich und ich hatte bald nur noch 8 Pesos in der Tasche. Das reichte nur wenige Tage für Kulinarisches wie Bananen, Brötchen, Sardinen und etwas Butter. Ein Bäckerladen hatte fünf pappige Brötchen für einen Peso, rund 20 Pfennige, ein Glücksfall. Dünn Butter drauf und Sardinen, eine Banane zum Nachtisch – fertig war das Mittagsmenü. Nur das heiße Wasser der Dusche im Hotel floss reichlich und konnte mich beruhigen.
Es war die Stunde der guten Samariter. Einige, die ich kennenlernte, liehen mir kleinere Beträge oder luden mich zum Essen ein. Immerhin verbürgte sich die Botschaft für mich beim Hotel. Und schließlich spendierte sie doch 1000 Pesos. Die eigentliche Erlösung kam von einem Hoechst-Angestellten. Er lud mich ins Holiday Inn ein und gab mir einen größeren Kredit. Er war auf die gleiche Schule wie ich gegangen, auf das Corvinianum in Northeim. Gerettet! Zu guter Letzt , oh Wunder, wurde auch die Überweisung meiner Eltern entdeckt. Sie lagerte auf einer Filiale der Banco del Atlantico, schon längere Zeit, die Zentrale hatte es nur nicht entdeckt. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Die meiste Zeit meiner Diät wurde mir versüßt durch Carmen.
Alles begann mit einem Salzstreuer. Ich saß in einer Cafetería und hatte Empanadas bestellt, die auch nach einer halben Stunde kamen. Empanadas sind gefüllte Teigtaschen und in der Regel lecker. Hier aber fehlte Salz. Kein Salzstreuer auf dem Tisch. Das hübsche Mädchen schräg gegenüber an meinem Tisch bemerkte meinen suchenden Blick. Sie hatte schon vorher nicht uninteressiert zu mir Gringo herübergeschaut und fragte mich jetzt ungrammatikalisch, aber verständlich: What you look? Ich antwortete spanisch-korrekt: Sal. Sie winkte energisch dem Kellner, der Salzstreuer kam umgehend und mit ihm meine Bekanntschaft mit Carmen.
Viele mexikanische Mädchen, so schien es mir, fanden Bekanntschaften mit US-amerikanischen Männern sehr interessant. Als ich mich als Aleman outete, stutze sie kurz, lächelte dann aber und schien umso mehr angetan. Das war etwas Neues für sie. Aleman – sagte sie mal später – muy hombre, sehr männlich. Ich versuchte, dieser Erwartung in 2600m Höhe zu entsprechen.
Carmen hatte elf Schwestern, die ich glücklicherweise nicht alle kennen lernte. Nur einige, die jüngeren. Eine kleine Ehre für mich, dass Carmen mich nach Hause einlud, in einen Wohnblock, den man bei uns als Plattenbau bezeichnen würde. Im Aufzug roch es penetrant, die Graffiti waren unzweideutig, doch die Familie von Carmen war warm und herzlich. Ihre jüngere Schwestern umlagerten mich und kicherten ausdauernd. Die Mutter war eine ausgesprochene Frohnatur und brachte Kekse. Eine mäßig gestimmte Gitarre war vorhanden und ich musste auch etwas spielen. Mir fiel ein kanarisches Lied ein und ich sang doch tatsächlich dazu: „La farola del mar“ – „der Leuchtturm am Meer“ – und erntete schallendes Gelächter.
Das war offensichtlich ein Romantik-Bruch – Carmen nahm die Gitarre und spielte und sang „La Flor de la Canela“ - „die Zimtblüte“- oder was es auch sinnspruchartig bedeutet: das Beste vom Besten. Ein schönes Lied und mexikanisch melancholisch. Die Augen der Schwestern glänzten.
Carmen war ein Schatz, aber ich musste bald weiter. Der Abschied war nicht leicht.
Wallfahrtskirche der Virgen de Guadalupe. Teilweise eingesunken in den porösen Untergrund. Viele Gläubige rutschen die letzten Meter auf Knien. |
Religöser Schnickschnack vor der Kathedrale am Zócalo.
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Weihnachtsfeier bei den „Kindern Gottes“
Es war zwei Tage vor Weihnachten, als ich sie traf. Beide saßen im Schatten eines Gebäudes an der Reforma, dem kilometerlangen Hauptboulevard der Stadt, und sahen gar nicht glücklich aus. Ich erkannte das Pärchen wieder, das ich schon auf der Bahnfahrt nach Guadalajara kenngelernt hatte. Er spielte leise auf einer Flöte und sie streckte den Passanten erfolglos Handzettel der Kinder Gottes entgegen. Katastrophenwarnung – Kometeneinschlag! Das prophezeite ihr Guru MO. Nach kurzem Hallo und etwas Smalltalk bat sie mich um 30 Pesos, sie könnten ihr Hotel nicht bezahlen. Noch hatte ich so viel und gab sie ihr. Dann komm doch zu unserer Weihnachtsfeier, schlug sie erleichtert vor. Ich sagte zu.
Zur verabredeten Zeit wollte ich sie von ihrem Hotel abholen. Das Haus der Sekte lag weiter draußen und wir würden ein Taxi gemeinsam nehmen. Vor ihrem Hotelzimmer angekommen hörte ich lautes Schluchzen und heftigen Wortwechsel. Ich klopfte. Drinnen wurde es still. Ich wartete und klopfte noch einmal. Er öffnete und tat als ob nichts geschehen wäre. Sie wischte sich verstohlen die Augen. Religiöse Krise? Für eine Weihnachsfeier war die Stimmung gedrückt, aber wir fuhren trotzdem. Eine Stunde Fahrt, zuletzt durch fast dunkle und ungeteerte Straßen. Die Casa der Sekte war nicht gerade winzig. Die beiden und auch ich wurden von wangendrückenden Frauen empfangen und mit sanftem „God bless you“. Kaum Dekoration, aber ein Menge Leute, wohl an die fünfzig. Eine Art bescheidenes Buffet stand bereit und alle bedienten sich. Dann die „Bescherung“. Alle standen in einem großen Pulk um ein kleines Podium und einige Geschenke wurden ausgerufen. Frauen waren in der Überzahl und darunter sehr viele Schwangere. Geburten wurden verkündet. Jedes Mal Beifall, Klatschen.
Anschließend gingen alle in den Garten, hockten sich auf den Rasen und sangen Lieder. Ich saß mitten drin. Vorne begleitete einer auf der Gitarre, die aber kaum zu hören war. Nach jedem Lied griff man die Hände des Nachbarn, die Arme flogen in die Höhe und alle riefen Thank you, God. Diese Überschänglichkeit übertrug sich nicht so recht auf mich, aber ich war ja auch kein Kind Gottes. Dazu wurde ich auch nicht bekehrt, keiner versuchte mich zu missionieren, wohl weil alle dachten, ich gehörte schon dazu. Nach drei Stunden beschloss ich mich zu absentieren, musste aber zwei Stunden auf ein Taxi warten. Der Taxifahrer kannte die Kinder Gottes. Er verdrehte vielsagend die Augen. Um 3 Uhr morgens erreichte ich endlich mein Hotel und gönnte mir sechs göttliche Stunden Schlaf. God blessed me.
Den unchristlichen Göttern näher war ich in Teotihuacán, unweit von Mexico-City, aber immerhin zwei Stunden Holperfahrt und Halten an jeder Ecke mit schrottreifem Vorstadt-Bus, ein ausrangierter Schulbus aus den USA, gefühlt ohne Stoßdämpfer und garantiert ohne Reifenprofil.
Teotiuacán, Blick von der Mondpyramide auf die Strasse der Toten, links hinten die Sonnen- pyramide. Höhepunkt der antiken Stadt ca. 300 n.Chr. mit 200 000 Bewohnern auf rund 20 qkm.
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Die Bewohner Teotihuacáns verschwanden relativ plötzlich. Als die Azteken herrschten, war die Stadt schon Jahrhunderte verlassen. Jetzt ist sie wieder bevölkert - von Touristen.
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Die Sonnenpyramide, in der Masse die drittgrößte Pyramide weltweit, gefüllt mit Abraum, keine Totenstätte wie in Ägypten. Auf der Spitze wurde wohl geopfert - den Göttern näher.
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