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Soll ich Blut trinken? - Mein Geschmack von Santería

Pablo erzählte mit einer Hand am Steuer vom großen Rest seiner Familie und die Landschaft glitt vorbei wie in einem Film, der sich hundertmal wiederholte. Meine Rufe: Stopp, una foto, wurden seltener..
Unser nächstes Hotel lag an der Nordküste, direkt am Strand,  war tropisch-vernachlässigt, daher ganz nach meinem Geschmack, wie ich es vielfach von Mexiko und Südamerika kannte. Hier war die Zeit stehen geblieben, ich empfand mich wie ein Eindringling in eine Welt der Unvergänglichkeit. Wenn nicht die abgeblätterten Holzstühle und -tische die vernachlässigte Realität angemahnt hätten. Am Abend  dann die untergehende Sonne, der warme Wind vom Meer und die Ruhe des Strandes – Balsam für die Seele. Kein Laut, nur das leise Rauschen des Meeres. Von weit entfernt das Bellen eines Hundes, sonst Stille, nur Stille.


Alles so entspannend und schön, aber dann erschien Roberto. Ich wollte mich im Liegestuhl ausruhen und genießen.
Doch Roberto kam – und stellte mir seine „Muchachas“ vor, Mädels, die er fest im Arm hielt. Clara y Amelia, hübsch die beiden, lächelnd die eine, lachend die andere, mit Grübchen. Wow, das hätte ich Roberto gar nicht zugetraut.  Roberto, der scheinbar solide Familienvater, jetzt mit zwei „Freundinnen“, blond und schwarz, auch noch sympathisch lächelnd obendrein. Er hatte seine Beziehungen, das war klar. Als Reisebegleiter hatte er seine „connections“ gepflegt, Ort für Ort, nicht wahr, Roberto? Ich kannte das von Lateinamerika, wo die Busfahrer an den jeweiligen Orten ihre „kleinen“ Liebschaften pflegten. Als Ausgleich für den Routenstress, natürlich. Clara und Amelia plapperten lustig drauflos, ich verstand fast nichts. Sie schauten zu mir, ich lächelte auf gut Glück, sie waren es zufrieden, Roberto strahlte. Pablo kam auch und verstand sich mit Amelia, wie es schien. Meine Barrieren waren Sprachbarrieren. Das wäre auch nicht hinderlich gewesen, aber irgendwie war mir die Lage undurchsichtig, ich hielt mich zurück.
Dann das Abendessen gemeinsam: Hähnchen mit Reis und Bohnen, Standardgericht auf Kuba. Alle aßen mit großem Appetit. Auch ich. Danach noch ein Drink, allseitig Cuba Libre. Pablo ein Bier. OK, es wurde doch spät, Roberto stand auf, mit ihm Clara, dann Pablo und Amelia, aha, claro, wie ich vernutete. Mit ihnen ging auch ich. Ich musste einen klaren Kopf behalten! Für den nächsten Tag.

Am nächsten Morgen kam ich mir vor wie der einsamste Mensch auf der Welt – zumindest aber auf Kuba. Ja, ich verdiente Mitleid.
Mutterseelen allein saß ich am Frühstückstisch, zwar ausgeruht, aber alle anderen rund zwanzig Tische waren schlicht leer. Ausgestorben. Keine Menschenseele. Nur eine auch einsame ältere Kellnerseele schlurfte über die Natursteine der Terrasse am Meer, rückte Stühle zurecht, verschob Tische, hustete zwischendurch und kam dann langsam im Slalom um die Tische auf mich zu – mit einer mitleidigen Miene als wäre ich ein verspätetes Gespenst auf der Suche nach Erlösung.
Die Sonne wärmte schon, eine leichte Meeresbrise milderte die aufkeimende Schwüle, und in das leichte Rauschen der Brandung sagte ich unmissverständlich: Rührei mit Toast, por favor. Der Kellner hielt inne, nickte, rückte geistesabwesend noch einen Stuhl neben mir zurecht und schlurfte in Richtung Küche. Meine Bitte war ausgesprochen und gewährt, das Ergebnis sah ich dreißig Minuten später, zusammen mit einem Muckefuck, der sich Kaffee nannte. Aber es schmeckte doch!
Und es kamen auch die anderen Menschenseelen, nach und nach, auch Pablo zuerst und Roberto dann, beide sehr, sehr relaxt, so als hätten sie die ganze Nacht Autogenes Training gemacht. Na, gut geschlafen? fragte ich, wieder einmal naiv. Pablo blickte zu Roberto, Roberto blickte zu Pablo, beide grinsten leicht: Claro, antworteten beide fast gleichzeitig. Y tu? fragten sie auch fast gleichzeitig. Claro, ich auch, antwortete ich etwas zögernd.
Die „muchachas“ kamen nicht, ich fragte auch nicht nach ihnen, es genügt mir, dass Pablo und Roberto so zufrieden und entspannt waren.
Heute abend etwas ganz Besonderes, sagte Roberto dann und setzte plötzlich eine gewichtige Miene auf, löffelte aber weiter von seinem Rührei, trank einen Schluck Kaffee und verkündete: Santería!!
Den letzten Bissen meines eigenen Rühreis würgte ich schnell herunter und sah ihn überrascht an. Tatsächlich, Santería? Sí, sí, sí, Arnulfo. - Eine Vorführung des Santería-Kultes war damals nicht so gewöhnlich. Ich war am frühen Morgen gespannt auf den späten Abend und die Nacht. Der Voodoo-ähnliche Kult hatte etwas Geheimnisvolles.


Es war schon dunkel, als wir im ächzendem Lada über Feldwege und durch Gebüsch fuhren, nur ab und zu ein Palmenstamm im schwankenden Scheinwerferlicht. Pablo hatte keine Zigarre im Mund wie Teo. Er starrte auf die Piste, das Lenkrad krampfhaft umklammert. Roberto sagte nur ab und zu: Naja, es lohnt sich aber! Dann Schotterpiste und das Farmhaus, davor schon etliche Wagen. Treppen hinauf und ein weiter Raum, fast Dunkelheit. Roberto sprach verschwörerisch mit einem Schwarzen, der wies uns Plätze zu, einfache Stühle vor eine kleinen Bühne. Da saßen schon Zuschauer, einige sprachen Englisch. Wir setzten uns dazu, alles nahezu familiär. Wir waren ungefähr zehn.
kuba-cuba-santeria-tanzEs begann mit einem beschwörenden Gesang der Tänzer, leise und guttural, dann anschwellend und ekstatisch, anscheinend die Beschwörung von Geistern, dann hektischer Tanz einzelner, die in Verzückung zu geraten schienen, eine Frau mit weit aufgerissenen Augen und verrenkten Gliedern, zuckend mit weit offenen Mund - wie von Dämonen besessen. Auf dem Höhepunkt der Ekstase wurde ein Opfer-Hähnchen an den flatternden Flügeln gegriffen, mit realem schnellen Biss in den Hals getötet und das ausströmende Blut in einer Schale aufgefangen.
Ein Blutopfer der Santería – zur Beschwörung - grausam und magisch zugleich. Beschwörung mit welchem Ziel? Das blieb mir verborgen. Rufe und Gemurmel der Tänzer verstand ich nicht.
Wohl um die Magie zu verbreiten, publikumsorientiert, schüttete man eine Portion Rum ins Hähnchenblut und bot den „Cocktail“ uns Zuschauern an. Wer trank? Zuerst keiner. Zwei Zuschauer vor mir nippten! – Sollte ich auch? Meine Neugier siegte zögernd. Das Hähnchen war nun mal tot, das frische Blut war sicher nicht schädlich, mit Rum sicher verträglich. Das Gläschen landete bei mir. Es schmeckte keineswegs scheußlich, aber auch nicht besonders, irgendwie sehr flach trotz Rum, von Magie keine Spur. Sicher fehlte der Santería-Glaube. Die anderen, die genippt hatten, saßen etwas nachdenklich da und auch ich blickte wohl etwas gequält. Roberto und Pablo sahen mich scheinbar ehrfurchtsvoll grinsend an. Hatte ich eine Mutprobe bestanden? Mag sein, doch auf der Rückfahrt sparten sie nicht mit augenzwinkernden Bemerkungen: Hast jetzt den Schutz der Geister, Arnulfo – Wie wär´s jetzt mit Hühnchen und Reis? – Jetzt bricht der Lada nicht mehr zusammen, Arnulfo, danke! – Kriegen wir jetzt deinen Segen?
Die Rumcocktails dann an der Hotelbar waren eine Wohltat, auch wenn ich wieder einmal zahlte. Roberto bot an seinen kleinen Finger anzuritzen, ich lehnte dankend ab und klopfte ihm auf die Schulter: Roberto, ich weiß doch, dass du ein starkes Hähnchen bist. – Das kam an! Er konnte sich vor Lachen nicht halten.

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Die geschilderte Opfer-Tanz-Show wirkte schon sehr ursprünglich, aber sie war doch nur eine geglückte Show. Santería hieß aber immer auch Wahrsagerei. Eine Amerikanerin, die 1940 die Insel besuchte, berichtete von einer echten Zauberin, nimmt das Ganze aber natürlich auch nicht so ernst. Hier ihr Bericht von damals, den ich für meinen Reiseführer „Cuba – Richtig Reisen“ übersetzte:

 

Besuch bei einer Zauberin im Jahre 1940

In einer sternklaren Nacht nahm man ich mit hinüber auf die andere Seite der Bucht vom Havanna, nach Regla, dem angeblichen Zentrum der Hexenkunst. In einer ruhigen Straße klopften wir an eine Tür, und ein dunkelhäutiger Mann öffnete. Wir wurden durch einen Patio geführt... Der Schein der Taschenlampe fiel auf eine roh behauene Jesusstatue mit Hahnenfedern zu ihren Füßen.
In einem anderen Raum, erhellt durch eine einzige elektrische Birne, standen auf hölzernen Altären oder in Wandnischen katholische Heilige. Jede Statue hatte ihre besondere Farbe und die passenden Blumen. Alle Heiligen waren identisch mit afrikanischen Gottheiten. Santa Barbara mit ihrem Schwert war rot, die Nische der heiligen Jungfrau von Cobre war weiß. Die Bruja, die Zauberin, führte mich dann in ein Hinterzimmer mit Altären des Heiligen Lazaro alias Babalu-Ayé, der Heiligen Merced alias Obatala und der heiligen Barbara alias Shango. Vor der heiligen Barbara lagen ein Tuch aus roter Seide, weiße und rote Blumen, viele Kerzen und dahinter die Heilige ganz in Rot. Die Bruja hockte sich auf den Boden, murmelte Gebete und warf eine Handvoll Muscheln auf das rote Tuch. Während sie wiederholt die Muscheln warf, stellte sie mir Fragen. Doch ich war schwierig, konnte mich an keine Feinde erinnern, an keine Krankheiten noch andere Übel.
Dann bekam sie das Stichwort. Sonntag wollte ich abreisen? Lieber Gott! Doch nicht gerade Sonntag! Ay, vieja! Händeringend und laut die Heiligen anrufend, rollte sie die Augen und sprach Worte, die nicht Spanisch waren. Doch ich blieb hartnäckig und weigerte mich, die Flugreservierung zurückzunehmen.
Da änderte die Zauberin ihre Taktik, warf die Muscheln fieberhaft und verfiel in eine starre Pose. Sie schien angestrengt zu lauschen – ich fühlte mich völlig vergessen. Als sie aus ihrer Trance erwachte, hatte sie den Spruch der Geister parat: Mit dem Opfer eines Hahnes und mehr Dollars würde alles gut gehen.
Die Bruja rief ihre Tochter, bat mich um 3 Dollar und schickte das Kind, um einen Hahn zu kaufen. Dann entledigte sie sich der Schuhe und ging an die Arbeit. Der Altarsockel entpuppte sich als Schrank, aus dem sie eine Kalebasse nahm. Sie füllte sie mit Wasser, tat einen Tropfen Parfüm hinein, eine Rose und eine Lilie vom Altar. In einen flachen Teller legte sie eine Bernsteinkette, Muscheln, eine Münze und einen nassen, schwarzen Stein.
Die Tochter kam zurück: Kein Hahn erhältlich! Das Mädchen wurde noch einmal geschickt. Indessen erflehte die Zauberin an anderen Altären Hilfe. Aus dem Altarsockel des heiligen Lazaro zog sie einen Teller mit Sand und Asche und stellte ihn auf den Boden. Mein Begleiter, zur Konsultation herangezogen, durfte nicht ohne eine schützende afrikanische Perlenkette eintreten. Doch die Tochter trat unbeirrt ein und lieferte einen Hahn mit buntem Gefieder.
Nun war alles bereit für die letzte Anstrengung. Sie packte den Hahn an Beinen und Flügeln, schwenkte ihn zur Heiligen hin, und unter ständigen Gebeten rieb sie meinen Kopf und Oberkörper und meine Beine und Arme mit dem Vogel. All das unter lautem Anrufen der heiligen Barbara. Dann plötzlich senkte sie ihre Stimme um eine Oktave und donnerte einen barschen Befehl: »Shango !! Es schien, dass man mit einem Befehl an die afrikanische Gottheit Erfolg haben konnte, während die christliche Heilige Besänftigung verlangte.
Als sie schließlich in Ekstase geriet, riß sie dem Hahn Brustfedern heraus und schichtete sie in großen Haufen auf den Teller mit der Bernsteinkette. Der Hahn stieß ein paar Schreie aus – seine letzten! So geschickt wie ein Barmann Flaschen entkorkt, drehte die Bruja dem Tier in aller Ruhe den Hals um. Wie jemand, der eine Flasche anbricht, ohne einen Korken zu verschenken, goss sie das dicke, warme Blut über die Perlen und Muscheln auf dem Teller. Sie legte den toten Kopf daneben und den Körper flugs auf den Teller des heiligen Lazaro. Ein wahrhaft komplizierter Ritus und in dieser Schnelle nur vertretbar wegen meiner Hartnäckigkeit, am Sonntag doch zu fliegen.
Die Halskette gab ich zurück – die Münze behielt ich. Sie erwies sich als ein US-Dime aus dem Jahre 1879. Nett von den Heiligen, ihn so in Ehren zu halten.
Meine Reise, so unheilvoll vorausgesagt, verlief glatt.

(aus „Cuba“ von Erna Fergusson, Übersetzung vom Autor)

 

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