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Schwarze, Cowboys und Zuckerrohr – aber keine Guantanamera
Teo war nicht mehr, dafür trat Pablo auf den Plan, mit seinem Lada, blank gewienert, blau, dem Anschein nach neu. Keine Zigarren mehr, leider oder gottseidank. Pablo war etwas füllig, Rentnermaße. Was quasi als Gedenken an Teo blieb, war der Flachmann mit starkem Kaffee, anscheinend eine unvermeidliche Grundausstattung der Fahrer bei längeren Touren. Pablo schlug keine Trommeln, dafür erzählte er unermüdlich von seiner Mujer, seiner Frau - wiederholt und wiederholend. Nach fünfzig Kilometern kannten Roberto und ich sein Eheleben im Detail, seine Kinder und auch seinen ersten Enkel. Seine Frau war treu, seine Kinder wohlgeraten, sein Enkel niedlich. - Toll, Pablo, Glückwunsch!
Das neue blaue Nachfolger-Taxi lief und lief und lief, Pablo redete und redete und redete. Roberto und ich fühlten uns schon familienzugehörig. Wir vermieden - infogesättigt - direkte Fragen, verhinderten aber dadurch keineswegs die weitere serienverdächtige Ausgestaltung der Pablo-Familiensaga. Pro Straßenkurve erhielt Pablos Frau eine weitere schmeichelhafte Eigenschaft aus seinem Munde, ganz zu schweigen von dem neuen Enkel, bei dessen Lob er geradewegs zu singen begann und ich glaube, ich sah einen feuchten Freudenschimmer in seinen Augen, wenn er sich plappernd zu mir herumdrehte und fast die Straße vergaß. Dank dem Koffein behielt er aber das Steuer fest in seinen Händen oder besser gesagt in seiner linken Hand, denn die rechte schien eine Aversion gegen das Lenkrad zu haben, sie ruhte in Reserve und jederzeit zur Hilfe in krasser Notlage bereit.
Die Landschaft glitt vorüber und war auch für mich nicht mehr ganz so interessant wie noch vor etlichen Tagen. Es gab hier im Osten Kubas sehr viele schwarze Kubaner, Nachkommen der kolonialen Sklaverei, als sie die dahinsterbenden indianischen Ureinwohner als Arbeiter auf Plantagen und in Bergwerken ersetzten, kräftiger „Import“ aus Afrika damals.
Interessant: Bei Volkszählungen auf Kuba stuften sich die Mischlinge zwischen „weiß“ und „schwarz“ immer eher als „weiß“ ein, wenn irgend möglich. Ganz früher unterschied man sogar zwischen 16 verschiedenen „Graustufen“, jede mit eigener Bezeichnung. Offiziell gab es jetzt im revolutionären Kuba keine wirkliche Diskriminierung der „Schwarzen“. Ob das wirklich für das alltäglich Leben galt, habe ich nie richtig erfahren. Aus Äußerungen von Roberto, Teo und Pablo schimmerte eher durch, dass hier doch ein gefühlter Unterschied bestand. Ein leider allzu menschliches Verhalten, aber wohl nicht wirklich gesellschaftlich relevant, keine eigentliche Diskriminierung.
Wenn auch die Landschaft bei mir nicht mehr laute Freudenschreie auslöste, am Rande der Straße gab es genug zu beobachten. Den kubanischen „Cowboy“ gab es noch, vielleicht nicht mit Lassowurf und Sporen, aber fest im Sattel, hier Vaquero, Viehhüter genannt.
Als wir durch Zuckerrohrfelder in flacher Ebene Richtung Gibara fuhren, stoppte Pablo auch kurz und unterbrach gnädigerweise seine Familienlegende. Er und Roberto (rechts) griffen sich Zuckerrohrstängel und posierten für ein Foto, so als ob sie kurz zuvor in harter Arbeit mit der Machete, dem Zuckerrohrmesser, das Rohr geschnitten hätten. Es lag allerdings greifbar auf einem LKW, der am Straßenrand stand.
Vor der Ernte werden die Zuckerrohrfelder „abgebrannt“, um die hinderlichen Blätter weitgehend zu beseitigen, übrig bleiben die süßen Rohrstängel, die mit dicken Handschuhen und Machete in schweißtreibender Maloche geschlagen und dann abtransportiert werden Richtung Zuckerfabrik.
Der süße Zuckerrohrsaft – der Guarapo – wurde auch in kleinen Guarapera-Bars am Rande der Ortsstraßen angeboten, von Hand in einer kleinen Trapiche, einer Zuckerrohrpresse, ausgepresst. Der Saft, gelblich-grün, wird mit Eisschnee vermischt und dient als Erfrischung. Optimisten gilt er als Aphrodisiakum. Realisten – und das sind alle Kubaner - mischen ihn oft mit Rum, dann wirkt die hormonelle Anregung mit Sicherheit.
< Bewaffnet mit Schlips meistert Pablo einen hartnäckigen Zuckerrohrstängel, rechtzeitig, damit der Laster endlich vollbeladen die Zuckerrohrfabrik ansteuen kann.
Roberto bestand praxisorientiert auf mundgerechter Portionierung. Mundgerecht deshalb, weil jeder von uns seinen Teil zum Auskauen bekam. Oder besser: zum süßen Auskatschen auf der Weiterfahrt. Ich bekam drei Teile. Streng nach dem sozialistischen Motto: Jedem nach seinen Bedürfnissen, jedem nach seinen Leistungen. Oder so. Der Trester flog ebenso mundgerecht zum asphaltnahen Recyceln auf die Straße.
Dann horchte ich auf. Pablo hatte Verwandte in Guantánamo, einer Kleinstadt östlich von Santiago. War das nicht unser nächstes Ziel? Und konnten wir dann nicht auch gleich am Strand von Daiquirí vorbeifahren, nach dem der gleichnamige Cocktail benannt wurde? 1898 landeten US-Soldaten an jedem Strand, um den Kubanern gegen die Kolonialmacht Spanien zu Hilfe zu kommen. Ihr General Shafter, kein Kostverächter und zu fett zum Reiten, kostete sogleich einen kubanischen Mix aus Rum, Limette und Zucker. Eis musste für ihn dazu, denn es war heiß am Strand von Daiquirí. Mit alkoholischer Frische wurde Santiago eingenommen und bald darauf feierte man den Sieg in La Habana. Der richtige Anlass, um einen weiteren Drink zu kreieren, den Cuba Libre – Kuba war von den Spaniern „befreit“. Es gab zuerst nur Limonade zum Rum, später Coca Cola. Heute kommen Cola und kubanischer Rum nicht mehr zusammen – auf die Insel darf keine Coca Cola und in die Staaten darf kein kubanischer Rum. Aber das ist etwas für Puristen, die unbedingt beides original haben wollen. Einige Exilkubaner in Miami stört auch der Name Cuba Libre, sie sprechen lieber von „Mentirita“, die kleine Lüge - und trinken ihn trotzdem.
Daiquirí und Guantánamo? No, no, no, sagte Roberto, gehört nicht zu unserer Route. Ich wies ihn schüchtern auf den weltbekannten Song La Guantanamera hin. Ach ja, gab Roberto zu, schönes Lied, der Autor Joséito Fernández sang es in den 30er Jahren zuerst und die Guajira, die Bäuerin, die er im Refrain angeblich besingt, hat er sicher nie gesehen, glaube ich. Und die Verse passen auch gar nicht zu einem richtigen Liebeslied. Und außerdem, Arnulfo, die Kleinstadt Guantánamo hat keine besonderen Attraktionen. Nada. Und die Frauen dort sind auch nicht schöner als im übrigen Kuba.
Damit war das Thema erledigt. Fragen nach der US Naval Base an der Mündung des Río Guantánamo und der gleichnamigen Bucht waren zu politisch. Das seit 1903 an die USA verpachtete Gebiet wird seit der Revolution von Kuba zurückgefordert als Vorbedingung für eine Normalisierung der Beziehungen. In das umzäunte und weitgehend umminte Gebiet darf nur streng kontrolliertes kubanisches Personal. Ansonsten hat sich die Naval Base autark gemacht und wird übers Meer versorgt. Erst seit 2002 wird Guantánamo weltweit berühmt-berüchtigt mit der Schaffung eines Internierungslagers für mutmaßliche internationale Terroristen.
Ein Besuch der Stadt Guantánamo hätte solche Gedanken vertrieben. Aber die Erinnerung an die romantischen Verse des Lieds im Fahrwind des offenen Lada-Fensters hob meine Stimmung. Vers-Auswahl:
Ich bin ein aufrechter Mensch |
Mein Vers ist von hellem Grün |
Ich züchte eine weiße Rose , |
Mit den Ärmsten der Erde |
Originale kubanische Version - Autor und Sänger Fernández singt selbst (externer Link)
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