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Santiago - Blume des Ostens
Blume? War eine Orchidee gemeint? Wohl eher nicht – aber historisch schon.
Auf jeden Fall war erst einmal kein Zimmer frei im Hotel an der zentralen Plaza - obgleich gebucht. Roberto wurde ungewöhnlich unwirsch, Teo saugte nervös an seiner Zigarre. Das Gepäck stand schon am Tresen der Rezeption. Das Mädchen dort war den Tränen nahe. Roberto insistierte, der Leiter des Hotels kam, genervt und hektisch qualmend.
A ver, grunzte er, mal sehen, schob das Mädchen beiseite, leckte seinen Zeigefinger und blätterte resolut in der Buchungsliste. Der Aschenbecher wurde das Grab von mindestens zwei Zigaretten. Mit strafendem Blick auf das Mädchen röhrte er dann: Tonta, aquí! – Sieh hier, du Dumme! Schräg grinsend beschied er dann Roberto: No hay problema, compañero.
Diesmal waren wir drei auf einem Zimmer, wo ich sonst ein eigenes hatte. Auch das war erträglich, fast wie eine Familie. Teo qualmte nur außerhalb und die meiste Zeit waren wir auf Achse. Es war kein eigentliches Touristenhotel, deshalb wohl die Probleme.
Vom Zimmerfenster des zentralen Hotels blickte ich auf das koloniale Haus des ersten spanischen Gouverneurs auf Kuba, 1522, eins der ältesten Gebäude der Kolonialzeit in Lateinamerika – zur anderen Seite auf das alte Rathaus, wo Fidel Castro am 1. 1. 1959 die Revolution verkündete, um dann Tage später triumphal in La Habana einzuziehen.
Sozusagen eine optische Klammer der kubanischen Geschichte. Blume der Geschichte und Wiege des neuen Kuba.
Zum Hafen ging es zuerst, einer der besten Kubas, mit aufopfernder Nachlässigkeit gepflegt, dann zum Morro hoch über der Einfahrt zur Hafenbucht, dem noch stolzen spanischen Kastell mit weitem Blick auf die meerumspühlte Südflanke der Sierra Maestra-Berge.
Hier wurden zu kolonialen Zeiten Negersklaven angelandet und die „Geißeln der Karibik“, die Seeräuber, mit unterschiedlichem Erfolg abgewehrt, Engländer ergriffen dann zwischenzeitlich Besitz, scheiterten aber an Hitze und tropischen Krankheiten, Erdbeben richteten Verwüstungen an, immer wieder mussten die Bewohner ganz neu anfangen bis schließlich Kaffeepflanzer aus Haiti bescheidenen Wohlstand erwirtschafteten.
Teo begleitet mich sogar ins spanische Kastell, er hatte es auch noch nicht gesehen, rief dann zur Information, zigarrenfrei: Aquí, los cañones! Original koloniale Kanonerohre lagen im Rasen der Wälle, wie im wohlverdienten eisernen Schlaf nach der Arbeit von Jahrhunderten.
Tief unterhalb der Kastellmauern passierte gerade ein sowjetischer Tanker die schmale Zufahrt zur Hafenbucht, die das Kastell einst verteidigte. Kanonenschüsse von hier oben brauchte der russische Kapitän nicht mehr zu befürchten, er ließ die Schiffssirene dreimal friedlich aufheulen wie zur Begrüßung an das brüderliche und werktätige sozialistische Hafenvolk.
Hier an der fernen Südküste, nicht sichtbar vom Morro und an weit entferntem modrigem Strand, beginnt Fidel Castro 1956 seine Guerrilla-Operation gegen den Diktator Batista, als er auf einer völlig überbesetzten privaten Yacht mit Namen Granma, Großmutter, zusammen mit Che Guevara landet. 13 Genossen von rund 80 bleiben nach dem Kugelhagel der Batista-Soldaten übrig, verschanzen sich in den schwer zugänglichen Bergen der Sierra Maestra, sind schwer greifbar, kämpfen erbittert und überfallartig, haben von Bauern zunehmend Zulauf, triumphieren schließlich drei Jahre später und rücken dann in acht Tagen erfolgreich nach La Habana vor.
Teo hatte den russischen Tanker gesehen, zeigte aber kein Interesse. OK, grummelte er und schob die kalte Zigarre in den anderen Mundwinkel. In seinem Namen habe ich aber mal kurz hinunter gewunken. Die russische Fahne schien wie zum Dank noch stärker im Wind zu flattern.
Tele-Blick vom Morro auf die Einfahrt zur Bucht von Santiago |
Der Präsident und Fidel Castros Einstand
Roberto und Teo litten wohl unter meinem Aktionismus. Fahren wir dorthin und auch noch dahin! Ich drängte. Abends im Hotel besprachen wir die Vorhaben für den nächsten Tag. An der Bar, selbstredend. Ich lockte und motivierte sie und spendierte: Mojitos, Daiquirís , Cuba Libres. Der Keeper mixte und schüttelte eifrig und stellte dann den Präsidenten vor: El presidente! Da dieser Cocktail so wichtig klingt und ebenso schmeckt, habe ich ihn notiert. Nicht jeden Tag trinkt man einen Vorsitzenden. Wieder präsidiert der Rum mit drei dominanten Teilen, wird mit einem Teil rotem Vermouth besänftigt, auf Eiswürfeln abgekühlt und mit ein paar Tropfen Grenadinen-Sirup tropenfest gemacht. Damit der Vorgesetzte nicht zu spießig wirkt, braucht er dringend noch ein paar Spritzer einer Apfelsinenschale und krönt sich mit einer Kirsche das Cocktailhaupt. Teo war hartnäckig normal und soff sein Bier. Na gut, weniger Prozente für ihn und bessere Kontrolle am Steuer tags darauf.
Tags darauf dann in die Stadt. Halten hier, halten dort. Zwischendurch zu Fuß. Santiago erschien mir als Kleinstadt, eigentlich gemütlich und mit freundlichen, ausgeglichenen Menschen. Pensionäre saßen schwatzend und gestikulierend auf Bänken, schwarze Mamis schoben Kinderwagen stoisch vor sich her, Kinder spielten kreischend Kreisel, wie bei uns in den 50er Jahren, andere Baseball, „Nationalsport“ der Kubaner. Erwachsene spielten Domino mit erstaunlicher Ausdauer fast mitten auf der Straße. Und überraschend: Hier und da ein VW-Käfer, teutonische Technik in der Karibik. Import wohl aus Mexico, wo VW ein Werk hatte.
Einige Kubaner trugen graue Tüten mit sich herum, als ob sie vom Einkauf kämen. Wenn sie sich zum Domino hinsetzten, sah ich, was sie daraus fast verschwörerisch hervorzogen: eine Flasche Rum. Die Stimmung am Domino-Tisch war trotzdem erstaunlich cool. Die Steine knallten aber temperamentvoll auf den Tisch, alle starrten konzentriert als hänge ihre Zukunft von Steinen ab.
Roberto hatte ein anderes Ziel. Santiago war ja die Wiege der kubanischen Revolution und das wollte er mir örtlich und realistisch klar machen. Verständlich und ja auch interessant. Es ging zur Granjita Siboney und zu Moncada-Kaserne. Revolutionäre Örtlichkeiten.
1953 greifen rund 100 revolutionäre Studenten unter Leitung Fidel Castros die Moncada-Kaserne in Santiago an, aus Protest gegen die Diktatur Batistas. Die Einschusslöcher des Kampfes an der Fassade der Kaserne, heute eine Schule, werden ausdauernd gepflegt.
Ihre Waffen bunkern die Aufständischen in der Granjita Siboney (unten), einer angeblichen und als Tarnung gedachten Hühnerfarm bei Santiago, dort in einem Brunnen. Auch hier werden die Einschusslöcher gepflegt.
Der Angriff ist schlecht geplant, obgleich der gleichzeitige Karneval in Santiago als Ablenkung dienen soll, viele Revolutionäre sterben trotzdem im Kugelhagel des alarmierten Militärs, Fidel überlebt, hält vor Gericht noch seine berühmte und eindrucksvolle Rede „Die Geschichte wird mich freisprechen“, wird verurteilt und auf der Pinieninsel vor der Südwestküste eingesperrt, aber bald freigelassen, beginnt 1956 von Mexiko kommend den Guerrillakampf in der Sierra Maestra und siegt 1959 über Batista, der rechtzeitig mit Familie und Koffern voller Banknoten nach Florida ins Luxus-Exil fliegt.
Roberto und Teo konnten wohl nicht umhin, mit mir die Granjita und die Moncada zu besichtigen, ihr sozialistisches Pflichtempfinden drängte sie. Sie bewahrten ihre Pokerfaces und schienen fast erleichtert, als wir wieder zum Lada gingen.
Abends an der Bar meinte Roberto lächelnd, auf die Besichtigung anspielend: Du weißt jetzt – freies Kuba. - So? Wenn du meinst, Robert. Ich bestellte sinniger Weise Cuba libre.
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